Es ist nicht immer leicht, einen gelungenen Zugang in die betreffende Gruppe zu finden, überhaupt wenn diese Gruppe mit Kriminalität oder zumindest mit abweichendem Handeln verbunden ist. Man braucht dazu nicht nur viel Geduld und ein weites Herz sondern auch viel Glück. Dies macht auch das Abenteuer aus.
Für meinen Zugang in die Welt der Prostitution war ein schwerer Motorradunfall, den ich vor Jahren hatte und der sich schließlich für mich als Glück erwies.
Im Krankenhaus kam neben mir ein Mann zu liegen, der bei einer Rauferei einen Herzstich erlitten hatte. Er war, wie ich dann erfuhr, ein Zuhälter am Beginn seiner Karriere. Wir wurden Freunde. Durch diesen abenteuerlichen Freund erhielt ich einen guten Einblick in das Leben am Strich, einen Einblick, der mir später bei meinen Forschungen sehr nützlich werden sollte. Aus dem damaligen jungen Zuhälter ist inzwischen ein würdiger Besitzer einer Reihe von Nachtlokalen geworden.
Vor einiger Zeit ist ihm sogar ein mehr oder weniger wohlwollender Artikel in der angesehenen Zeitschrift "Öffentliche Sicherheit", herausgegeben vom österreichischen Innenministerium, gewidmet worden. In diesem wird er als der große Mann am Strich geschildert, der über Ländereien verfüge und dessen Geschäfte von einem "Statthalter" geführt werden.
Jedenfalls verdanke ich diesem Herrn einige für mich spannende Kontakte. Er ist bis heute mein Freund geblieben.
Seine Freundschaft zeigt mir mein früherer Bettnachbar immer wieder, wenn ich ihn brauche. Einmal war ich von meiner Zahnärztin, sie hat ihre Ordination im oberösterreichischen Gebirge, zu einem bestimmten Zeitpunkt bestellt worden. Diese Dame ist eine großartige Ärztin, doch sie verträgt nicht, wenn man sich nicht an die Termine der Zahnbehandlung hält.
Einmal hatte sich mich für 9 Uhr am Vormittag bestellt. Sie meinte, wenn ich nicht pünktlich käme, wäre sie sehr verärgert. Da ich kein Auto besitze und an den Zug gebunden bin, wäre ich von Wien unmöglich rechtzeitig zu ihr gekommen. Ich rief daher meinen Freund den Zuhälter, den ich vom Krankenhaus kannte, an und bat ihn um Hilfe. Dieser holte mich darauf um 7 Uhr am Bahnhof in Linz mit seinem noblen Auto, einem zweisitzigen Jaguar, ab und führte mich ins Gebirge, nach Spital am Pyhrn. Dort bat ich ihn, er solle vor dem Haus der Zahnärztin kurz warten, damit auch die Zahnärztin sehe, in welcher vornehmen Weise ich hier her gelangt bin. Die Dame schaute lächelnd auf das Auto und den Herrn daneben, er war in einem Maßanzug unterwegs.
Aber noch ein anderer Mann war mir behilflich, Pepi Taschner hieß er, er ist leider bei einem Unfall ums Leben gekommen. Ihn lernte ich durch einen Vagabunden kennen, dem ich erzählt hatte, ich würde einen Kontakt zu einem Herrn benötigen, der mir bei meiner Forschung am Wiener Strich helfen könne. So lernte ich Pepi Taschner kennen, über dessen Leben in der Wiener Unterwelt, im Gefängnis und auf der Straße ich ein ganzes Buch schrieb (Girtler 1884). Durch ihn kam ich mit einigen bekannten Herren der Zuhälterszene und einigen hübschen Dirnen in Kontakt. Diese besuchten mich auf Wunsch von Pepi sogar am Institut für Soziologie der Universität, um mir aus ihrem Leben zu erzählen.
Ansehen erfuhr ich, als ich mich einem berühmten Wiener Ganoven, einem Freund von Pepi, in einem verruchten Gasthaus im 16. Bezirk Wiens zum so genannten Fingerhakeln stellte. Der Mann zog mich zwar über den Tisch und lädierte dabei meinen Finger – ich konnte ihn ein paar Wochen nicht abbiegen -, aber den Ganoven gefiel, dass ich mich überhaupt auf so eine Kraftübung eingelassen hatte.
Solche und ähnliche Abenteuer begleiteten die erste Zeit meiner Forschung bei Wiener Dirnen. Ich erreichte dadurch, dass man in mir einen Forscher sah, der sich ehrlich und ohne Vorurteile dem Milieu der Prostitution näherte.