Pepi Taschner, über dessen Leben in der Kriminalität im vorhergehenden Kapitel und vor allem in meinem Buch „Der Adler und die drei Punkte“ manches zu lesen ist, traf im Gefängnis auf Kumpanen aus der Wiener Szene. Im Gefängnis war er in einer Basketballmannschaft, in der damals berühmte Ganoven spielten, unter ihnen Alois Schmutzer, ein ungemein kräftiger Herr, der die Gegner wahrscheinlich in Angst und Schrecken versetzte. Bei einer Basketballmeisterschaft 1974 im Gefängnis siegte Pepis Team. Das Foto, das die Siegesmannschaft zeigt, schenkte mir Pepi, Ich halte es in Ehren.
Pepi Taschner, hatte immerhin 22 Vorstrafen, allerdings wegen Delikte, die sich lediglich auf das verbotene Glückspiel beziehen und auf Raufhändel bzw. Messerstechereien, mit Konkurrenten, bei denen keiner ums Leben kam. Pepi verbrachte deswegen einige Jahre im Gefängnis und zwar in der Justizvollzugsanstalt in Stein, heute ein Stadtteil von Krems.
In meinem oben erwähnten Buch wird das Leben im Gefängnis mehr oder weniger detailliert geschildert. Ein Gefängnis ist eine totale Institution, da die Bereiche, in denen der Mensch lebt, arbeitet und nächtigt im Wesentlichen zusammenfallen. Eine Möglichkeit des sozialen Rückzugs ist nicht gegeben, der Mensch ist einer dauernden Kontrolle ausgesetzt.
Ein Gefängnis ist eine aufregende Welt. Im Rotwelsch, der Gaunersprache, gibt es viele Ausdrücke für diese problematische Einrichtung, wie z. B. Häfen (ursprünglich Behälter) oder Knast (von jiddisch knass – Strafe).
Das Gefängnis Stein wird in der Gaunersprache liebevoll als „Mutterhaus“ oder „der Felsen“ bezeichnet. Durch dieses Gefängnis führt meine Studenten und mich bei meiner jährlichen Exkursion dorthin Herr Oberstleutnant Roland Wanek, der meine universitären Reisegefährten und mich stets herzlich begrüßt. Er selbst spricht augenzwinkernd vom Gefängnis Stein als der „Erlebnisanstalt Stein“, ehe er uns erzählt, dass in dieser ca. 850 Herren aus 52 Nationen ihre Strafe absitzen. Hier könne man jede Sprache lernen.
Ist jemand eingesperrt, so heißt es in der Gaunersprache: er ist „eingnaht“ oder er ist „meier gegangen“ (von jidd. mora für Furcht). Ein interessantes altes Wort für Gefängnis, das heute nicht mehr verwendet wird, ist „Klems“. Es dürfte mit „klemmen“ verwandt sein. Der Gefangene ist also „eingeklemmt“. Das Wort „Klems“ taucht in dem von Kriminalbeamten um 1500 verfassten „Liber Vagatorum“ auf. In diesem alten Gaunerwörterbuch finden sich Wörter, die Wiener Ganoven bis in jüngste Zeit noch verwendet haben, wie „acheln“ für essen oder „brief“ für Spielkarte. Den Falschspieler nannte man „Habsburger“.
Es ist interessant, dass gerade im „Häfen“ in Stein sich eine alte Gaunersprache, die auf das Mittelalter zurückgeht, erhalten hat, die zunehmend durch Wörter aus anderen Sprachen ergänzt wird. So gibt es Wörter slawischen Ursprungs wie die Gaunerwörter „Glutsch“ für Schlüssel und „nusch“ für Messer. Aus dem Slawischen dürfte auch das Wort Pomatschka kommen, wie der Gefängnisschnaps heißt, der von Gefangenen in den Zellen im Verborgenen hergestellt wird. Alkoholgenuss ist ihnen strengstens untersagt.
Wie der Pomatschka gebraut wird, hat mir sehr genau der Ganove und langjährige Gefangene Pepi Taschner erzählt: Für den Pomatschka nimmt man Obst, gibt es mit einem Stück Brot oder mit Hefe in ein Nylonsackerl, schließt dieses luftdicht ab, versteckt es meist unter einer Matratze und lässt das Obst gären. Die dadurch entstandene Maische wird in leeren Öldosen ( diese stammen aus Gefängnisküche ) zu Schnaps „gebrannt“.
Wichtige Wörter der Gaunersprache beziehen sich auf die Flucht, dazu gehören: „beuli gehen“ oder „beulisieren“ (es dürfte aus der Zigeunersprache kommen), die Fliege machen, einen Flug machen, in die Blüah (Blühe) gehen, die Kurve kratzen u. dgl. Den Justizwachebeamten bezeichnen Ganoven meist als „Kas“, eine Bezeichnung, die sich vielleicht vom Kaiserlich Königlichen Arrestschließer ableitet.
Im Gefängnis hört man viele Schimpfwörter, unter anderem das Wort „Wams“, womit ein Verräter bezeichnet wird. Im Wort „Wams“ steckt das jiddische Wort „mamsen“ für verraten“.
Die Gefangenen hatten früher eine besondere Technik im Weitergeben von geheimen Nachrichten von Zellenfenster zu Zellenfenster, nämlich das „Pendeln“. Dabei wurde ein Papierzettel mit der Nachricht um einen Stein mit einer Schnur gewickelt und dieser zum betreffenden Fenster „gependelt“. Heute gibt es wohl andere Möglichkeiten der Nachrichtenvermittlung. Die heimlich übermittelte Nachricht ist das „Gsib“ (vom Wort Kassiber – jidd. für Nachricht).
Ist ein Ganove tätowiert, so bezeichnet man ihn als „angehiaselt“ (von Hiesel für Schminke). Die Tätowierung nennt man das „Peckerl“. Das Tätowieren, so erzählte mir Pepi Taschner, geschah heimlich durch Spezialisten im Gefängnis und kostete jeweils ein paar „Packerl Heu“, so wurde der Tabak benannt. Der Journalist Egon Erwin Kisch, der „rasende Reporter“, schreibt über seine Tätowierung, die er beim österreichischen Militär während des 1. Weltkrieges im Arrest durch einen Mitgefangenen erhielt. Dieser hätte ihm versprochen, er würde ihm ein Stillleben auf den Rücken tätowieren, brachte aber das Portrait eines unbeliebten Offiziers an. Kisch soll deswegen Schwierigkeiten gehabt haben.
Es ist eine bunte Sprache und Kultur, die die Gefangenen im Laufe der Zeit entwickelt haben.